Um ein klimaneutrales Deutschland zu erreichen, benötigt es noch einiges an Veränderung. Zwischenzeitlich werden von den Regierungen in Europa neue Zwischenziele für 2030 formuliert. Sowohl in Deutschland als auch in Europa wird Klimaneutralität als Ziel der Regierungen angesetrebt. Im Klimaschutzgesetz des Jahres 2019 wurde durch den deutschen Bundestag das Ziel festgelegt, bis zum Jahre 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Ein Interview zum Thema mit Jürgen Stellpflug – ehemaliger Chef von Öko-Test.

Was bedeutet klimaneutrales Deutschland?

Zum einen muss die Emission von Treibhausgasen so schnell wie möglich und so weit wie möglich reduziert werden. Unvermeidbare Emissionen müssen kompensiert oder an anderer Stelle eingespart werden. Das geht zum Beispiel durch Investitionen in Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern wie die (Wieder-)Aufforstung von Wäldern, den Bau von Solaranlagen, den Ersatz von Kohle durch Biomasse wie Kokosnussschalen, die Wiedervernässung von Mooren oder durch effiziente Kochöfen, die 40 bis 80 Prozent weniger Holz verbrauchen und entsprechend weniger CO2 verursachen.

Weil sich in diesen Ländern mit jedem Euro viel mehr erreichen lässt als in den Industrieländern, kostet die Kompensation gerade einmal 15 bis 25 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Zudem helfen viele Kompensations- und Einsparungsprojekte auch den Menschen vor Ort. So tragen saubere Kochöfen zu 12 der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bei.

Unter anderem zum Ziel „Gesundheit und Wohlergehen“, weil sie Luftqualität in Wohnräumen verbessern und für einen erheblichen Rückgang von Atemwegserkrankungen sorgen. Klimaneutral ist Deutschland, wenn nicht nur die Kohlendioxid-Emissionen, sondern alle Treibhausgase gemäß dem Kyoto-Protokoll wie Methan oder Lachgas vermieden oder kompensiert werden.

Was sind die Ursachen für die Klimaveränderungen?

Ursachen der Erderwärmung ist die Menschen gemachte Freisetzung von Treibhausgasen, vor allem durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern (Öl, Kohle, Erdgas). Aber auch durch die Landwirtschaft, die in Deutschland 2020 mit gut 60 Mio. Tonnen rund acht Prozent der Treibhausgase verursacht hat sowie die Abholzung und Brandrodung von Wäldern.

Wird es deines Erachtens tatsächlich bis 2045 zu einem klimaneutralem Deutschland kommen?

Alle Daten zeigen, dass die bislang beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. So kommt der Ausbau der erneuerbaren Energien viel zu langsam voran. Die Deutsche Energieagentur Dena bemängelt zudem, dass die Sanierungsrate von Gebäuden bei etwa einem Prozent pro Jahr stagniert, obwohl zum Erreichen der Klimaziele mindestens 1,5 Prozent notwendig wären.

Regelmäßig verfehlt auch der (Auto)Verkehr die geplanten und nötigen Reduktionsziele. Daher schlage ich vor, dass Deutschland seine gesamten Treibhausgase kompensiert. 2020 waren das insgesamt 739 Mio. Tonnen, die Kompensation hätte gerade einmal gut elf bis knapp 19 Milliarden Euro gekostet. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf den Klimawandel, sondern wäre auch sehr effiziente Entwicklungshilfe.

Was ist konkret notwendig, um den Klimawandel weltweit zu stoppen?
Die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellen-Länder (G20) ist für 80 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Allerdings ist der Ausstoß sehr unterschiedlich.

Die USA verursachen über 14 Tonnen pro Kopf und Jahr, Russland gut elf, Deutschland rund neun, China etwa sieben und Indien als positives Schlusslicht der G20 gerade einmal 1,7 Tonnen. Um den Klimawandel zu stoppen dürften es aber weltweit nicht mehr als 1,5 Tonnen sein. Das heißt: Alle G20 Länder, besonders aber die reichen Industrieländer, müssen ihre Emissionen reduzieren.

Welche Rolle kann Deutschland in der Bekämpfung des Klimawandels einnehmen?

klima

Deutschland verursacht zwar nur zwei Prozent der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen. Daher wird manchmal die Meinung vertreten, es mache wenig Sinn, für viel Geld Treibhausgas in Deutschland zu reduzieren.

Richtig ist dagegen, dass Deutschland als reiches Industrieland zeigen kann, dass Wohlstand und Klimaschutz sich nicht widersprechen, sondern dass Klimaschutz Voraussetzung für dauerhaften und weltweiten Wohlstand ist. Je schneller wir klimaneutral sind, desto günstiger wird es übrigens, weil jede Verzögerung immer höhere Folgekosten der Erderwärmung nach sich zieht.

Jürgen, möchtest du uns noch etwas über dich sagen?

Der Autor ist Gründer und Vorstand von Testwatch. Der Verein testet die Tester und berichtet auf Testwatch unter anderem über den meist unseriösen Umgang mit Testsiegeln. Außerdem ist er seit Gründung im Jahr 2005 Mitglied der Verbraucherkommission des Landes Baden-Württemberg. Fast 30 Jahre lang war er Chef von Öko-Test.